Wenn eine Stadt attraktiv ist, wenn sie über eine gute wirtschaftliche Infrastruktur verfügt, vielen Menschen attraktive Arbeitsplätze bietet, wenn ihr kulturelles Leben blüht, wenn sie gute Universitäten und Schulen hat und ihre Bewohnerinnen und Bewohner als besonders freundlich und gastlich gelten, dann muss dies nicht unbedingt nur von Vorteil sein. Nachteilig kann sein, dass eine attraktive Stadt viele Menschen anzieht. Folglich wird der Wohnraum knapper. In Stuttgart kommt hinzu, dass sich die Stadt aufgrund ihrer Topographie nicht beliebig erweitern kann. Die Kessellage begrenzt das Wachstum.
Die große Attraktivität Stuttgarts ist nicht der alleinige Grund für Wohnungsknappheit, aber ein wichtiger Grund. In den vergangenen zehn Jahren sind 80.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Diese Stadt und ihre Unternehmen bieten über 420.000 Menschen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Stuttgart boomt, hier wird investiert, die Stadt boomt seit Jahren, und sie wird auch in Zukunft boomen. Dafür wird nicht zuletzt das Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 sorgen. Dessen abschließende Realisierung lässt allerdings schon viel zu lang auf sich warten. Mittlerweile jedoch steht fest: 2025 soll der neue unterirdische Bahnhof in Betrieb gehen. Dies wird auch einen großen positiven Schub für den Stuttgarter Wohnungsmarkt bedeuten, denn für die Stadt war es immer ein entscheidendes Argument für den neuen Bahnhof, dass auf dem alten Gleisfeld ein komplett neuer Stadtteil entstehen kann: Stuttgart-Rosenstein. Das Areal ist 85 Hektar groß, dies entspricht einer Fläche von 150 Fußballfeldern. Bis zu 5.800 Wohneinheiten werden entstehen, mit Schulen, Kindertagesstätten, Kultureinrichtungen und mit Park- und Grünanlagen.
In kaum einer anderen Stadt in Deutschland und europaweit eröffnet sich in den nächsten Jahren eine solche städtebauliche Chance. Stuttgart-Rosenstein soll ein innovatives, klimagerechtes und ökologisches Modellquartier werden, ein Stadtteil der kurzen Wege, ein vorbildliches Quartier mit erschwinglichen Mieten und sozialer Vielfalt. Die Stadt Stuttgart hat im Jahr 2001 die Flächen, die bebaut werden, von der Deutschen Bahn erworben. Sie ist Eigentümerin und hat die Planungshoheit. Damit hat sie alle Karten in der Hand, ein Stadtquartier zu entwickeln, das ökologisch zukunftsweisend und klimaneutral ist, in dem nachhaltige Baustoffe verwendet und Flächen, Fassaden und Dächer begrünt werden, in dem Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten wohnen und neue Formen der Mobilität ermöglicht werden.
Die Stadt hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um die Wohnungsproblematik in einem vernünftigen und nachhaltigen Sinne zu lösen oder zumindest zu entschärfen. Um eine möglichst hohe Planungssicherheit zu erreichen, wurde eine umfangreiche Wohnbedarfsanalyse erstellt. Schon seit Jahren werden die Möglichkeiten ausgeschöpft, den vorhandenen städtischen Raum effizienter zu nutzen, d. h. weiter zu verdichten. Auf diese Weise werden Ressourcen geschont. Die Stadt achtet darauf, dass trotz Verdichtung Freiräume und Frischluftschneisen erhalten bleiben. Es gilt der Grundsatz, dass zusätzliche, neue Bebauung über den Innenbereich der Stadt hinaus, die Ausweisung neuer Flächen an den Stadträndern, nur die Ultima Ratio sein darf.
Ein Meilenstein ist, dass die Stadt, nach Jahren der Zurückhaltung, ihre Bodenpolitik neu ausgerichtet hat. Sie tritt nunmehr aktiver auf dem Grundstücksmarkt auf, um sowohl bebaute als auch unbebaute Grundstücke zu erwerben, um dort sinnvolle städtebauliche Entwicklungen auf den Weg zu bringen. Die städtischen Partner sind dabei die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), eine städtische Tochter, und die Baugenossenschaften. Zurzeit laufen mit der Wohnungswirtschaft Verhandlungen, das erfolgreiche „Bündnis für Wohnen“ zu verlängern. Es soll ein gemeinsames Bekenntnis zum Wohnungsbau abgegeben werden. Bezahlbare Wohnungen sollen erhalten und neue geschaffen werden.
Wenn in Stuttgart gebaut wird, spielt die sogenannte Konzeptvergabe eine wichtige Rolle. Die Stadt ist bewusst davon abgekehrt, Flächen zum Höchstpreis am freien Markt anzubieten. Sie vergibt diese Flächen künftig nur noch an Bieter mit einem guten und überzeugenden Konzept. Ein wichtiges Kriterium dabei ist, dass die verlangten Mieten nicht überteuert, sondern auch für Haushalte mit einem durchschnittlichen Einkommen erschwinglich sind.
Ein zentraler Akteur der Neuen Städtischen Wohnungspolitik ist die SWSG. Sie steht für faire und bezahlbare Mieten. Um Wohnungssuchenden mit durchschnittlichem Einkommen eine Perspektive zu bieten, wird die SWSG ihr Geschäftsfeld ausweiten. Sie wird noch mehr zu einem kraftvollen Motor des Stuttgarter Wohnungsbaus werden. Aktuell hat die SWSG rund 19.000 Wohnungen mit mehr als 50.000 Mietern in ihrem Bestand. Bis 2025 werden es rund 21.000 sein und bis 2030 rund 24.000.
Beim Bau dieser Wohnungen wird streng darauf geachtet, dass die Anforderungen des Klimaschutzes erfüllt werden. Aktuell werden zahlreiche Bestandswohnungen der SWSG energetisch saniert. Die Modernisierungsrate soll weiter gesteigert werden und die Wärmeversorgung auf erneuerbare Energie umgestellt werden. Ziel ist, bis 2035 die gebäudebezogene Klimaneutralität zu erreichen.
Das Jahr 2035 ist für Stuttgart ein magisches Datum. 2022 hat die Stadt beschlossen, das Ziel der Klimaneutralität vorzuziehen. Die Stadt soll nicht erst 2050, sondern bereits 2035 klimaneutral werden. Ein umfangreiches Maßnahmenpaket wurde verabschiedet. Die Stadt hat einen Klima-Innovationsfonds aufgelegt, der 200 Millionen € für einen erweiterten Klimaschutz vorsieht. Alle Beschlüsse im städtischen Parlament werden im Hinblick auf ihre Klimarelevanz geprüft. Die Stuttgarter Stadtwerke sind bestimmt worden, ein wichtiger Antreiber der Klimaneutralität zu werden. Dafür hat die Stadt in einem ersten Schritt ihre Kapitaleinlagen bei den Stadtwerken um 100 Millionen € erhöht. Die Strom- und Wärmeversorgung soll auf der Basis von erneuerbaren Energien weiter ausgebaut und die CO₂-Emissionen weiter reduziert werden.
Die Landeshauptstadt möchte mit ihrem Aktionsprogramm Klimaschutz mit einem guten Beispiel vorangehen. Die Städte haben eine zentrale Rolle in der Klimaschutzpolitik. Sie können einen wichtigen Beitrag leisten, den Klimawandel zu stoppen. Jedem von uns sollte es ein wichtiges Anliegen sein, die Schöpfung zu bewahren und eine lebenswerte Welt an unsere Kinder und Kindeskinder weiterzugeben. Da die Folgen des Klimawandels offensichtlich sind, ist es höchste Zeit zu handeln. Deshalb hat Stuttgart das Ziel der Klimaneutralität um 15 Jahre vorgezogen, in der Hoffnung, auch andere Städte zu diesem Schritt zu motivieren.
Einer der großen Industriellen und Erfinder aus Stuttgart, Robert Bosch, hat einmal gesagt, bei der Bewältigung von großen Aufgaben sei jeder Beitrag wichtig, auch der kleinste. Und er hat gefordert: „Jeder (und jede) soll mitwirken zum Wohle des Ganzen.“ Dieser Aufgabe wollen wir uns in Stuttgart stellen, beim Klimaschutz, beim Wohnungsbau, bei einem Städtebau, der nachhaltig ist und die Interessen künftiger Generationen berücksichtigt. Dabei dürfen wir die Ökonomie nicht aus dem Auge lassen. Eine starke Industrie und starke Unternehmen sind Voraussetzung für einen starken Umwelt- und Klimaschutz.
Dr. Frank Nopper
Oberbürgermeister Landeshauptstadt Stuttgart