Bauen, bauen, bauen? Das neue Baudogma auf dem Prüfstand

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Dr. Dirk Vogel
Oberbürgermeister Stadt Bad Kissingen
© Stadt Bad Kissingen

In diesem Jahr fand der 13. Wohnungsbau-Tag der Bauwirtschaft statt. Auf diesem wiederholte die Bundesregierung ihr Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Eigentlich nichts Neues, denn in den letzten Jahren entstand parteiübergreifend das neue Baudogma „bauen, bauen, bauen“ zur Lösung der Wohnungsnot. Unabhängig von der Frage, ob die Umsetzung angesichts der Baupreisentwicklung überhaupt realistisch ist, bezweifle ich aus mehreren Gründen, ob dieses Paradigma hinreichend präzise und sinnvoll ist.

1. Die Wohnungsknappheit entsteht durch Präferenzen
Neue Wohnungen brauchen wir nur, wenn mehr Menschen zu erwarten sind. Die 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung geht davon aus, dass die Bevölkerung nur noch die nächsten zwei Jahre lang zunimmt, dann stagniert und spätestens ab 2040 zurückgeht, so das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in einem Fachbeitrag vor einem Jahr. Drei Jahr zuvor hielt dasselbe Institut fest, dass schätzungsweise 4,2 % aller Wohnungen leer stehen, was etwa 1,7 Mio. Wohnungen entspricht. Die proklamierte Wohnungsknappheit, die stagnierende bis sinkende Bevölkerungszahl und der existierende Leerstand sind erstmal widersprüchliche Tendenzen. Allerdings lassen sich sie sich in Einklang bringen, indem man den Trend klar benennt: Mehr Menschen wollen in die Metropolen ziehen: „Wo“ ist bei der Wohnungsnot wichtiger als das „Wieviel“.

2. Die Grenzen des Wachstums in den Metropolregionen sind erreicht
Die Metropolen haben reagiert. So entstanden und entstehen etwa in Frankfurt und München nicht neue Wohnungen, sondern am Riedberg (266 ha) oder in Freiham (350 ha) gleich neue Stadtviertel in erheblichem Ausmaß. Zusätzlich werden Nachverdichtungen mit Aufstockungen und Umwidmungen forciert. Auch wenn ich an der Stelle der Kolleginnen und Kollegen in den Rathäusern vermutlich ähnlich reagieren würde, so ist dieses geografisch eng lokalisierbare Wachstum nicht unbegrenzt fortsetzbar: Die Städte kommen kaum hinterher, neben der kostenaufwendigen technischen Infrastruktur auch die soziale Infrastruktur zu gewährleisten: Schon jetzt fehlen Kitas und Schulen. Die Metropolen sind in jeder Hinsicht an den Grenzen ihres Wachstums angelangt.

3. Wachstum an vielen Stellen, nicht an wenigen
In einem Europa der Niederlassungsfreiheit lassen sich allerdings die Präferenzen der Menschen nach einem urbanen Lebensstil nicht verändern. Das ist aber auch gar nicht notwendig, wie das Beispiel der Stadt Halle zeigt. Deren Bevölkerungsanzahl sank und sie hat mit vielen Leerständen zu kämpfen; während im gerade mal 34 Kilometer Luftlinie entfernt Leipzig Bevölkerungswachstum und Wohnungsnot herrscht. Auch hier ist ein urbanes Leben zu günstigeren Bedingungen möglich. Allerdings lässt sich die technische Infrastruktur (Kanal, Abwasser) und die soziale Infrastruktur aus ökologischen und ökonomischen Gründen leichter in einer Stadt wie Halle reaktiveren, als in einer hippen Metropolregion von heute auf morgen zu skalieren.

4. Nichtmetropolregionen sind nicht automatisch ländlicher Raum
Mit unserer Marketingkampagne „Bei uns in Bad Kissingen“ zeigen wir auf, dass das Leben in einer „kleinen Großstadt“ wie Bad Kissingen mit wenig Abstrichen im Vergleich zum Leben in einer Metropole genauso möglich ist: Theater, Sport, Gastronomie und vor allem viel Natur auf einem überschaubaren Raum docken an den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft teilweise besser an, als es der Speckgürtel von Metropolregionen je könnte.
Bayern hat mit seinem Landesentwicklungsprogramm die Chancen der Nichtmetropolregionen anerkannt. So wurden zum Beispiel im Rahmen des Konzeptes „Regionalisierung von Verwaltung – Behördenverlagerung“ 100 Arbeitsplätze im neu gegründeten „Haus für Gesundheitsmanagement“ nach Bad Kissingen verlagert. Vielleicht nimmt sich die Privatwirtschaft ein Beispiel am (Frei-)Staat und eröffnet ihre Zentralen nicht nur in den Metropolregionen – ein Beitrag zur Nachhaltigkeit wäre es aus vorgenannten Gründen allemal. Das derzeitige Baudogma ist es jedenfalls nicht.

Dr. Dirk Vogel
Oberbürgermeister der Stadt Bad Kissingen