Hanau hat laut städtischem Melderegister im Jahr 2021 die 100.000-Einwohner-Marke überschritten und ist in die Liga der Großstädte aufgestiegen. Seit 2010 hat die Stadt mehr als 10 Prozent Einwohnerinnen und Einwohner hinzugewonnen und soll in den nächsten Jahren kreisfrei werden. Hanau ist weiter auf einem stabilen Wachstumspfad. Damit einher gehen auch Erwartungen an eine zunehmende Steuerungs- und Verwaltungsleistung. Aktuell sucht die Brüder-Grimm-Stadt mit einer umfangreichen Einstellungsoffensive in allen Ressorts nach neuen Talenten für ihr Team, auch in den Bereichen Bau und Planung.
Am Klassenerhalt in der Liga der Großstädte zweifelt niemand. Mit viel Mut und Weitsicht hat Hanau seit 2008 den Abzug von rund 30.000 amerikanischen Militärangehörigen und deren Familien verarbeitet. Die Stadt hat die Umnutzung von rund 340 Hektar Konversionsflächen auf den Weg gebracht, über den „Wettbewerblichen Dialog“ die gesamte Innenstadt in einem atemberaubenden Tempo umgekrempelt – ein Kraftakt und Wagnis, das, genau wie die Konversion, nur zu bestehen war, weil wir experimentierfreudig waren, weil der offenen Austausch mit der Stadtgesellschaft gesucht wurde und weil in strategischen Partnerschaften eng im Team mit der privaten Bau- und Immobilienwirtschaft zusammengearbeitet wurde.
Die Stadt hat ihre Chancen gut genutzt. Den Aufstieg verdankt Hanau aber auch der Zugehörigkeit zur Rhein-Main-Region. Wir haben nicht nur von der generellen wirtschaftlichen Prosperität der Region profitiert, sondern auch von der Tatsache, dass andere Städte aus unterschiedlichen Motiven für sich entschieden haben, nicht weiter wachsen zu wollen. Mit dieser ganz eigenen Gemengelage aus Flächenverfügbarkeit, Unternehmergeist und regionaler Wirtschaftskraft ist Hanau ist für Wohnungssuchende aus der Region ein neuer Punkt auf der Landkarte der Möglichkeiten geworden.
Für die kommenden Jahre steht nun ein Perspektivwechsel an. Wachstum kann auch Wachstumsschmerzen verursachen: rasant steigende Mieten und Kaufpreise für Wohnungen, mehr Autos auf nicht erweiterbaren Straßen, Engpässe bei der Bereitstellung von Kita-Betreuungsplätzen, Verlust von Grünvolumen. Der Fokus wird sich stärker als bisher auf die Qualität und die „Risiken und Nebenwirkungen“ des Wachstums richten. Hanau sollen auch Familien mit durchschnittlichen Einkommen eine Wohnung finden können. Die Konversion ist so gut wie abgeschlossen, sodass nun die Weiterentwicklung bestehender Quartiere und Gebäude an Bedeutung gewinnt. Um Akzeptanz für Veränderungen in den gewachsenen Quartieren zu erzeugen, müssen die Chancen für Verbesserungen im Wohnumfeld herausgearbeitet werden. Auch der Innenstadtumbau muss weiter vorangetrieben werden, denn die Pandemie mit ihren Folgen für den Handel droht das Erreichte infrage zu stellen.
Dass der Klimawandel den Städten in den nächsten Jahren viel Aufmerksamkeit abverlangen wird, zeigen die Vorkommnisse der vergangenen Jahre. Unser Bewusstsein dafür hat sich seit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verstärkt; das Thema ist uns allen näher gerückt, konkret und dringlich geworden.
Die globalen Herausforderungen des Klimawandels müssen insbesondere von den Städten gelöst werden: Klimaschutz und Klimaanpassungsstrategien sind als selbstverständlicher Bestandteil der Stadtentwicklung zu betrachten. Die Stadt Hanau hat beschlossen bis 2040 klimaneutral zu werden. Besonderes Augenmerk verdient die energetische Sanierung des Gebäudebestands, der stärker vorangetrieben werden muss. Stadtentwicklungsprojekte und Bauvorhaben müssen Klimaneutralität und Klimaanpassung pragmatisch, wirtschaftlich vertretbar und konsequent berücksichtigen. Die Stadt strebt bei Neuentwicklungen von Quartieren CO2-Neutralität als Standard an.
Eine nachhaltige und lebenswerte Stadt braucht neben sauberer Luft auch hochwertige Naturräume mit biologischer Vielfalt, Landschaftsräume mit Erholungswert sowie eine gute Gewässerqualität.
Keine Kommune kann die komplexen Aufgaben einer nachhaltigen Stadtentwicklung im Alleingang meistern; es sind strategische Partnerschaften vonnöten. Innerhalb der Region ist Hanau deshalb Teil der Initiative des Landes Hessen „Großer Frankfurter Bogen“, die sich die Mobilisierung von Bauland für erschwinglichen Wohnraum in guter Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf die Fahne geschrieben hat.
Von enormer Bedeutung ist für eine nachhaltige Stadtentwicklung weiterhin die enge Partnerschaft mit privaten Bauwilligen und deren Planenden sowie Architektinnen und Architekten. Es bedarf transparenter Spielregeln, da die anstehenden Themen über reine Marktmechanismen nicht in den Griff zu bekommen sind. Teilweise noch abstrakte privatwirtschaftliche ESG-Kriterien (Environmental Social Governance zur nachhaltigen und verantwortungsbewussten Unternehmensführung in der Bau- und Immobilienwirtschaft müssen in einem gemeinsamen Diskurs mit Kommunen für konkrete Projekte operationalisiert werden.
Preiswerter Wohnraum in klimaschonender bzw.
klimaangepasster Bauweise und in einer qualitätsvoll gestalteten städtebaulichen Dichte – um dies zu erreichen, setzt Hanau über städtebauliche Verträge Leitplanken und wird auch selbst als Akteurin auf dem Bodenmarkt aktiv. Als Mitgesellschafterin der LEG Hessen-Hanau hat sie die Konversion des Pioneer Park zu einem neuen Stadtteil für 4.000 bis 5.000 Menschen begleitet. Auch über Vorkaufsrechte wirkt die Stadt auf den Immobilienmarkt ein – nicht zwingend in der Absicht, eine Immobilie zu erwerben, sondern um mit den Akteuren einen Dialog auf Augenhöhe zu führen und Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen.
Aktuell werden parallel diverse ressortspezifische Grundlagenkonzepte erarbeitet: Mobilitätsleitbild, Klimaschutzkonzept, Stadtklima-Gutachten, gemeinwohlorientierte Wohnungsmarktstrategie, Baulandstrategie, Sportentwicklungsplan, Bewegungsleitplanung – die jeweils fachspezifische Anforderungen formulieren und untereinander viele Schnittstellen aufweisen. Die Kunst wird darin liegen, diese Bausteine gedanklich zu einer ganzheitlichen Strategie zusammenzuführen und aus den gewonnenen Erkenntnissen Eckpunkte für eine nachhaltige Stadtentwicklung abzuleiten, die auch von privaten Projektpartnern „auf dem Platz“ als wirtschaftlich und umsetzbar akzeptiert werden.
Für Hanau spielt bei der Diskussion über Nachhaltigkeit gerade der soziale Aspekt eine zentrale Rolle. Bis zu dem rassistischen Mordanschlag am 19. Februar 2020 haben wir mit dem Gefühl gelebt, dass in Hanau Menschen aus allen Teilen der Welt überwiegend gut zusammenleben. In dieser Annahme wurden wir jedoch erschüttert. Die Stadt hat unter dem Eindruck dieses Traumas ein Zentrum für Demokratie und Vielfalt gegründet. Nachhaltige Stadtentwicklung heißt für uns deshalb zusätzlich, darüber nachzudenken, wie wir demokratische Prinzipien auch bei Planungsprozessen so umsetzen, dass alle Hanauerinnen und Hanauer daran teilhaben können und sich in unserer Stadt sicher und aufgehoben fühlen.
Claus Kaminsky
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